Die letzten Jahre haben eine große Schere aufgetan, was die Rechte der gesamten queeren Community – besser wohl den Communities – angeht. Während einige Länder große Fortschritte gemacht haben haben andere Länder das Rad in Richtung Steinzeit zurückgedreht. In Europa pendelte sich Russland da gerade extrem in die falsche Richtung – welche man lange überwunden geglaubt hat. Zeit für einen politischen CSD.
Der Berliner CSD stand daher auch unter einem politischen Motto, das offiziell „Schluss mit Sonntagsreden“ hiess. Inoffiziell war das Motto aber eher „Mit Verlaub Herr Putin, sie sind ein Arschloch“ und der Berliner CSD war ein großes Statement zur Situation in Russland. Als erster LKW führ ein russischer LKW, der GMF Wagen widmete sich ganz Ivan dem Schrecklichen Herrn Putin, man sah massig Plakate, Parolen und Banner gegen die Situation ins Russland und hörte allenthalben Sprachen, die eher dem Ostblock zuzurechnen waren.
Berlin dürfte wohl mittlerweile der östlichste CSD sein, der eine gewisse Größe UND Sicherheit bietet. Und er schallt mit Sicherheit gen Osten wie früher Rias. Wird es Putin interessieren, nein selbstverständlich nicht. Wird es östliche Besucher interessieren, Ja, selbstverständlich, wird es queere Personen in den Ländern interessieren, ich denke schon. Der Berliner CSD zeigt, dass die Rad-zurückdreh-Aktionen nicht gottgegeben sind, sondern, dass es auch anders geht. Hier kann man offen auf einem CSD unterwegs sein – und man kann sogar feiern und die Menschen drumherum feiern mit. Der CSD feiert 44 Jahre Stonewall, viel erreichtes und demonstriert gegen all die negativen Tendenzen.
Und, ich gebe zu, ich hatte es als nicht betroffener nicht so wirklich auf dem Schirm, dass auch in Deutschland selbst in Berlin in Sachen Akzeptanz nicht alles Gold ist, was auf dem CSD glänzt. Das macht betroffen und alles zusammen bedeutet nur: der CSD ist so wichtig wie immer, vermutlich noch viel wichtiger als in den letzten 5-10 Jahren. Also lasst uns demonstrieren und feiern… und bei beidem bin ich mit vollem Herz dabei.
Kommen wir also zur feierei… Dafür hab ich ja Wochen lang geklebt, statt mir an einem Tag ein Spruchbanner zu basteln. Wenn man feiern will, dann will ich auch glänzen. Ich könnte nun hochtrabend sagen, „mit meinen Kostüm wollte ich gemäß dem Motto der Politik den Spiegel vorhalten“ aber weit gefehlt, ich wollte einfach blendend aussehen und das hat geklappt, es war ein sonniger Tag und ich reflektierte hervorragend die Sonnenstrahlen und sah meine reflektierten Sonnenstrahlen an Passanten und Häusern an der Strecke.
Nicht so richtig auf dem Schirm hatte ich das Gewicht des Kleides. Es ging so weit, dass ich meine Nachbarin um Nachbarschaftshilfe beim Anziehen bitten musste. Hochhalten und gleichzeitig zumachen… fast unmöglich. Egal, sie half mir und ich konnte mich vorsichtig ins Auto hieven… merkte dabei aber schon, dass das eine schwierige Kiste wird. Sicherheitshalber parkte ich daher mein Auto etwa auf halber Strecke und fuhr per Taxi zum Startpunkt.
Wie nicht anders zu erwarten, befand sich da zu dem Zeitpunkt auch schon Tatjana Taft in ihrem Medusa Outfit…. Hmmmm dem aufmerksamen CSD Besucher wie mir, kommt das doch arg bekannt vor… Okay, sie klärte mich auf. Das eigentliche Kostüm sei noch nicht fertig und dieses hätte sie in Berlin noch nie getragen. Oh, das eigentliche Kostüm ist noch nicht fertig? Dass so etwas auch Profis wie Tatjana passiert. Stimmt einen ja fast etwas glücklich.
Mittlerweile weiß ich auch, dass sie Spiegel auch mal in einer Kostümidee hatte, es aber dem Gewicht wegen verworfen hat… Sie war also klüger als ich … und ich musste damit leben. Erst klappte alles noch ganz gut, ich kam gut an, spielte mit meiner Discokugel und interessierte genug Fotografen. Kostüm kommt an. Haken dran.
Mit weiterer Strecke zeigte sich aber das Kostüm + Peeptoes keine gute Idee war. Wenn sich einmal die ersten beiden Zehen in den Peeptoeschlitz drücken, kann man sie eigentlich nur noch amputieren, so schmerzt es… Beim gehen geht es gerade noch, aber der Zug stoppte oft und laaange und stehen geht dann gar nicht… Hinsetzen? Mit dem Kleid keine gute Idee, also Schmerzen ertragen und hoffen, dass der Zug bald weiterfährt.
Immer wieder erstaunlich, wie man ein genervtes und von Schmerzen gezeichnetes kurzfristig zum Grinsen bringen kann, wenn eine Fotokamera das schafft. Geübt eben. So schaffte ich noch den immer großartigen Bereich rund um den Nollendorfplatz und das Goya, mit dem festen wissen, bald steht da mein Auto und ich kann wechseln.
Als ich fast mein Auto erreicht hatte, bat mich Daphne AKA Daphne Maria Mater d’Or noch zu einem obligatorischen Foto, dass ich allerdings nur noch sehr gequält hinter mich bringen konnte, ein echtes Lächeln war erst wieder möglich, als ich mich der Schuhe entledigt hatte – und auch meine Kleid…. Etwas ernüchternd, wenn einem mit dem Zweitkleid, dass man mal eben gekauft hat genauso viele Menschen sagen, wie toll das ist, wie beim anderen Kleid, an dem man Monatelang (naja zumindest wochenlang) gebastelt hat.
Aber egal, ab nun war ich privat und in zivil hier. Ich unterhielt mich gerade mit einem Fotografen über die Drags, als ich am Horizont die grünen Medusen näherkommen sah… und ich sag noch „Gleich kriege ich Ärger, weil ich die Schuhe ausgezogen habe“ … Tatjana kam näher und es kam so. ich solle gefälligst im Blog auch schreiben, dass ich die Schuhe gewechselt habe und nicht nur, dass sie ein Kostüm recycled hat… …Nach vielen Jahren CSDs wissen wir beide scheinbar, was jeweils von der anderen Person zu erwarten ist 🙂 Okay, ich schrieb beides… Ja, ich habe zum ersten Mal einen CSD abgebrochen und ich werde nicht noch einmal Peeptoes tragen.
Als ich dann da so rumstand und fotografierte, kamen auch Diana, Sheila und Janka vorbei, die leider viel länger brauchten, als geplant und so erst sehr spät in den Zug einstiegen. Ich wollte eigentlich dort wieder einsteigen, aber ein Versuch mit meinen Schuhen zeigte mir, dass ich mir das vollkommen abschminken kann, also blieb ich und fotografierte weiter.
Unter anderem kam mir dabei auch Jessica Spirit vor die Linse – und ich erkannte sie nicht. Dabei gehörte sie in meinen Anfangstagen zu meinen absoluten Idolen, wie ein Blogbeitrag aus 2006 !!! beweist, den ich schrieb, nachdem ich tatsächlich von Sheila ( ja genau DIE Sheila ) als Idol bezeichnet wurde… Das ist 7 Jahre her. Erstaunlich, früher Idol, heuer hab ich Jessica nicht einmal erkannt. So kann es kommen. Ein Paar Worte hätte ich aber schon gerne gewechselt. Naja, kommt Zeit, kommt Rad.
Ich auf jeden Fall fuhr nach Hause und begrüsste den an meinem Haus vorbeilaufenden TCSD mit Festbeflaggung. Und da ich gerade keine Regenbogenflagge zur Hand hatte, recycelte ich eben auch noch ein altes CSD Outfit kurzfristig und hängte meinen Regenbogen-Zönix aus dem Fenster, bevor ich zu Sheila zum Grillen fuhr um den CSD Tag wunderbar ausklingen zu lassen.